BMW R32

BMW R32: Ausflug mit einer flotten Hundertjährigen

Ein eigenes Motorrad von BMW? Und dann noch mit seitlich hinausragenden Zylindern? Besucher der Internationalen Automobilausstellung in Berlin staunten am 28. September 1923 nicht schlecht, als die R32 enthüllt wurde.

Dazu muss man wissen: Die Bayerischen Motoren Werke (BMW) hatten bis dahin noch gar keine eigenen Fahrzeuge konzipiert. Zwar hatte BMW schon länger Motoren für Motorradmarken wie Heller oder Victoria gebaut und unter der Marke Helios eine Maschine vertrieben, aber noch keine unter dem Namen BMW. Die R32 änderte das.

Der damalige Chefkonstrukteur Max Friz hatte ein Jahr zuvor über das Motorrad-Triebwerk nachgedacht und ordnete die Zylinder nicht mehr hintereinander im Rahmen an. Sondern er drehte sie nach dem Boxer-Prinzip nach außen, damit der Fahrtwind sie kühlte.

Aus 494 Kubikzentimeter Hubraum schöpfte der Boxermotor 8,5 PS bei 3200 Umdrehungen. Das Getriebe dockte Friz direkt hinter der längsliegenden Kurbelwelle an, die Kraft übertrug eine Kardanwelle.

Aber Victoria sprang als größter Abnehmer des Einbaumotors kurzfristig ab. Und die vorher übernommene Marke Helios hatte Fahrwerksmängel und verkaufte sich schlecht. BMW brauchte ein neues, eigenes Motorrad – auch um den Motor zu verkaufen.

Gutes Gesamtkonzept mit Boxermotor

Max Friz entwickelte daraufhin eine komplett neue Maschine – ein Modell mit stabilem, einteiligem Rohrrahmen und schlüssigem Design. Zwar waren Boxermotor und Kardanwelle im Motorradbau längst bekannt, aber die R32 machte das durchdachte Gesamtkonzept mit einem harmonischen und in sich stimmigen Aufbau einzigartig.

Ein kompakter Radstand von 1,38 Meter versprach gute Handlichkeit. Der Motor hatte einen niedrigen Schwerpunkt und lief kultiviert. Daran angeschlossen war direkt ein Dreigang-Getriebe.

Andere 500er-Triebwerke waren damals zwar stärker. Doch die BMW glich das mit gutem Durchzug, Fahrverhalten, Komfort, guter Bedienbarkeit und hoher Zuverlässigkeit aus. Dinge, die noch heute gelten – bis auf die Bedienbarkeit. Das zeigt sich auf einer Ausfahrt mit der R32.

Aufsitzen – wie fährt sich der Klassiker heute?

Statt des Gasgriffs liegen an der rechten Seite des Lenkers ein Hebel für die Verstellung des Gasschiebers und ein Hebel für den Luftschieber des Vergasers, um ein zündfähiges Gemisch herzustellen. Die Schieber müssen im richtigen Verhältnis aufeinander optimal abgestimmt sein, sonst läuft der Boxer unrund.

An der linken Seite liegt der Hebel für die Zündung. Beim Starten steht die Zündung auf «spät», während die Hebel für Luft und Kraftstoff leicht übereinander liegen und geöffnet sind. Tatsächlich: Nach dreimaligem Treten des Kickstarters springt die Maschine an.

Langsam knattert die Hundertjährige sich warm, so dass die Hebel wieder justiert werden müssen – nach Gespür und Gehör. Dann die Kupplung wie gewohnt mit der linken Hand ziehen, mit der rechten Hand – ungewohnt – den seitlich am Tank befindlichen Ganghebel nach hinten ziehen und dann die Kupplung langsam lösen.

Die Strecke führt glücklicherweise geradeaus mit wenigen Kurven und ohne Ampel, denn die Bremse zeigt kaum Wirkung. Dafür lässt sich der Motor mittels der beiden rechten Hebel schon nach wenigen Kilometern gut nach Gehör einstellen. Der Antrieb muss schnurren und darf nicht knattern, patschen oder ruckeln, aber auch nicht zu hell klingen.

Schnell bremsen müssen – besser vermeiden

Ab rund 40 km/h folgt der zweite Gang. Also kurz Gas und Luft wegnehmen, Kupplung ziehen und den Hebel am Tank nach vorne drücken. Dann sofort wieder Gas geben. Bis zu 95 km/h fährt das rund 120 Kilogramm schwere Motorrad. Piloten müssen sehr vorausschauend fahren, eine Vorderradbremse gab es anfangs nicht und am Hinterrad wirkt nur eine Keilklotzbremse. Die vordere Blattfederung arbeitet mäßig. Erst ab 1924 spendierte BMW eine Vorderbremse.

Erstaunlich ruhig und spurstabil fährt sich die R32 über die Landstraße, selbst in langgezogenen Kurven, während man aufrecht und bequem sitzt. Schlank und rank liegt dabei die Maschine zwischen den Beinen. Über den breiten nach hinten gezogenem Lenker hat der Pilot die BMW gut im Griff, nach wenigen Minuten flitzen Daumen und Zeigefinger gekonnt über die rechten Hebel, während die rechte Hacke leicht auf dem Bremshebel parkt.

Kleine Unebenheiten federt der dicke Sattel sanft ab. Unvorstellbar, dass dieses Konzept schon 100 Jahre alt ist. Bei der BMW R32 begeistert heute noch die Genauigkeit und Detailtreue.

«Damals war sich keiner bewusst, dass das Boxerdesign und die Form des Tanks zu Ikonen werden», sagt Markus Schramm, der Leiter von BMW Motorrad. «Die R32 war eines der ersten richtigen Motorräder, das auch als solches konzipiert wurde.»

Vom Nutzfahrzeug zum Gefährt für den Genuss

Die Technologie hat sich in den vergangenen 100 Jahren natürlich enorm weiterentwickelt, unter anderem haben sich Fahrstabilität, Fahrgenauigkeit und Sicherheitssysteme massiv verbessert.

Dazu kommt der Wandel vom Nutzfahrzeug zum Hobbygefährt. Von den 50 Millionen Motorrädern in Europa werden nach Schätzungen weniger als zehn Prozent zum Pendeln auf die Arbeit genutzt. «Es geht heute neben dem Fahren als Genuss um ein Lebensgefühl, um Individualisierung und damit um einen persönlichen Ausdruck», sagt Markus Schramm.

Das war vor 100 Jahren noch anders. Bis Ende 2024 verkaufte BMW das Modell 1500 Mal, bis Ende 1926 4100 Mal. Anfangs kostete die R32 in der Basisvariante 2200 Mark, die besser ausgestattete Version 2600 Mark – sehr viel Geld damals. Doch der explodierende Motorradmarkt der 1920er Jahre spülte die Kassen von BMW voll.

Dann folgte die überarbeitete und stärkere R42. Auch sie ist heute ein Klassiker, aber bei weitem nicht so wertvoll wie eine originale R32 von vor 100 Jahren. Die von mir gefahrene R32 gehört BMW Classic und hat einen geschätzten Wert von rund 200.000 Euro.

Gut zu wissen:

Zum hundertjährigen Jubiläum von BMW Motorrad zeigt das Werksmuseum in München eine Sonderausstellung mit mehr als 50 Modellen aus zehn Jahrzehnten. Infos: www.bmw-welt.com/de/